Die Kollegen aus dem Nordwesten veranstalteten vom 30.09. bis 02.10. in Oldenburg das »Freifunk-Festival 2017«; ein Wochenende mit Workshops, Vorträgen und zum Kennenlernen.

Eines der Highlights aus Chronistensicht war der auf Sonntag vorgezogene Tagesausflug zu mehreren Standorten des Wittmunder Funkbackbones.

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Dorf­ge­mein­schafts­haus Sand­ler­möns

Los ging’s in Sandelermöns, einer eher ländlichen Gegend in Jever. Hier ist die Dorfgemeinschaft an die Freifunker herangetreten, um letztlich den Ball aufzunehmen, den Politik und Wirtschaft haben fallen lassen: Es gibt dort zwar den Universaldienst Telefonie – heißt: man kann einen Telefonanschluß bestellen und bekommen –, DSL allerdings ist dort auch Ende 2017 nicht verfügbar.

Inwiefern ISDN im Jahre 2017 (analoges Modem wäre mit 56 kBit/sec nochmal 12,5% langsamer) noch die Vorgaben des TKG §78, Zitat: »Datenkommunikation mit Übertragungsraten […], die für einen funktionalen Inter­net­zu­gang ausreichen«, erfüllt, sei dahingestellt.
Der Einwurf, man könnte ja auf Mobilfunk ausweichen, ist evtl. berechtigt; die Rückmeldung aber ist: da dort datenmäßig dermaßen tote Hose ist, hätten sich ›alle‹ schon auf die LTE- und HSPA-Angebote gestürzt — not­ge­drungen. Insofern ächzen die Mobilfunknetze nach Feierabend und bringen auch keine tollen Datenraten pro Kunde mehr zusammen.

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Back­bone­stand­ort Witt­mund.

Und so kam die Dorfgemeinschaft überein, die Freifunker eine Richt­funk­strecke zum Dorf­ge­mein­schafts­haus projektieren und umsetzen zu lassen.

Und die Wittmunder Kollegen haben geliefert; die am #17fff-Wochenende noch provisorische Installation lieferte über den rd. 6,8 km entfernten Kabel-Deutschland-Anschluß ca. 30 MBit/sec im Down- und ca. 20 MBit/sec im Upstream.

Screenshot, Karte: OpenStreetMap
Über­­sichts­­kar­­te An­­bin­d­ung San­d­ler­­möns, Kir­­che Witt­­mund.

Die Richtfunkverbindung läuft über das 5-GHz-Band, der Funk­weg ist nicht op­ti­mal — die Re­sul­ta­te aber schon mal or­dent­lich, insbesondere im Hinblick auf die Al­ter­na­tiv­en.

Für den Chronisten – auch selbst eher ein An­häng­er der »machen statt schna­cken«-Frak­tion – zeig­te dies wie­der­ein­mal, daß Theo­rie und Pra­xis sicher­lich zu­sam­men­häng­en, man sich von einer rech­ner­isch-un­sin­ni­gen Lös­ung aber nicht auf­grund von theo­re­tischem Zahl­enwerk ab­bring­en las­sen sollte.

Chronologisch ginge es nun weiter nach Witt­mund, aber es lohnt sich, diese WLAN-Strecke noch kurz genauer zu betrach­ten.

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Nah­auf­nah­me An­ten­nen des Back­bone­stand­orts.

6,8 km sind schon mal ’ne Haus­num­mer, und das mit »han­dels­üb­licher« Tech­nik. Aber wie der Witt­mun­der Frei­funk zum Back­bone­stand­ort »Jo­han­nes­haus Witt­mund« kam, ist auch eine Er­wähn­ung wert: die Kirche trat an die Frei­funk­er her­an, ob man nicht den Got­tes­dienst von der in­ner­städtischen Kirche zum rd. 1 km ent­fern­ten Senioren­heim brin­gen könne. Letzt­lich galt »Challen­ge accep­ted« und die Witt­mun­der Kol­le­gen haben einen in­ner­städtischen Kirch­turm zum WiFi-Knoten aufgerüstet.

Der Aufbau der Funkstrecke zwischen Kirche und Johanneshaus legte den Grundstein für die spätere Anbindung u. a. Sandelermöns‘.

Da die Stadt Wittmund den Freifunk aktiv fördert, gibt es einen Internet-Uplink über das Verwaltungsgebäude, und von dort einen Funk-Link zum Kirchturm. Somit ist prinzipiell auch im Freifunk-Netz die Partizipation an den übertragenen Gottesdiensten möglich; wichtiger aber ist die dadurch mögliche Grundversorgung von interessierten Anwohnern als auch Touristen.

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Stadt­mitte Witt­mund; gelb mar­kiert: Out­door-APs und Richt­funk­an­ten­nen.

Denn in Wittmund hat — mit Unterstützung der lokalen Verwaltung — schon vor vielen Jahren eine Vernetzung erster »Hotspots«, von Bereichen also, in denen sich Bürger und Besucher aufhalten, statt­ge­fun­den.

Auf Freifunk-Basis, denn die öffentliche Verwaltung Wittmunds setzte schon frühzeitig auf eine Kooperation mit den Freifunkern:

Freies WLAN für die Stadt – Freifunk in Wittmund

Wittmund war von Anfang an mit dabei, wenn es um das freie WLAN in Städten ging. Wo in anderen Städten noch Verhandlungen laufen, war das Netz in der Kreisstadt bereits augebaut.

Die Freifunk-Community ‚Freifunk Nordwest‘ betreibt nun schon seit Ende 2013 in der Innenstadt von Wittmund das Freifunknetzwerk, welches von den Gästen, aber auch von den Bürgern der Stadt kostenfrei, ohne Anmeldung und Begrenzungen genutzt werden kann. Dabei baut Freifunk nicht auf ein großen Unternehmen auf, sondern bringt Bürger zusammen, die in ehrenamtlicher Arbeit das Netz errichten. Mithilfe von WLAN-Routern, der richtigen Software und Interesse an Technik laufen nun schon über 90 Router (Stand: Juni 2015) in Wittmund und sorgen so für ein lückenloses freies Netz.

Das Netz erstreckt sich dabei hauptsächlich über die Innenstadt, aber auch Stadtpark, Schützenplatz, Jugendzentrum, Freibad und Hotels sind mithilfe von Freifunk vernetzt worden. Außerdem erweitern wir gegebenenfalls das Netz, wenn es bei Großveranstaltungen zu einem höheren Auslastung kommen soll. Freifunk birgt die Idee einer freien und vernetzten Gesellschaft. Was in den meisten europäischen Ländern fast selbstverständlich ist, wird in Deutschland durch die sogenannte Störerhaftung erschwert: ein offenes und providerunabhängiges WLAN für Anwohner und Besucher. Das möchten wir Freifunker ändern. Der freie Zugang zum Internet ist in der heutigen Zeit unverzichtbar. Offene, geteilte Gesellschaftsdaten-Netze erlauben einerseits den Zugriff auf wichtige Informationen, andererseits ermöglichen sie auch Recherchen zu Bildungsthemen und Zugang zu kulturellen und touristischen Informationen. […]

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Uplink auf dem Dach der Verwaltung.

Sehr aufschlußreich waren dann die Frage-Antwort-Runden an den verschiedenen Standorten: die reine Funk-Hardware ist generell eher das kleinste Problem — eine simple weitere Steckdose in einem – hölzernen – Kirchturm kann schnell das Budget sprengen, wenn man nicht auf fördernde/spendende Elektriker zurückgreifen kann. Klar, eine Schuko-Steckdose kann im Grunde jeder normgerecht auflegen — aber dürfen dürfen dies eben nur Leute vom Fach, und niemand möchte im Brandfalle über solche ›Details‹ diskutieren müssen

Wir haben an dem Tag noch weitere Standorte in Wittmund besichtigt und es gab abends, zurück in Oldenburg, noch eine Folien-Präsentation inkl. Frage-Antwort-Runde. Interessantes Detail: Richtfunk wird mit Standard-Hardware von z. B. Ubiquiti und der sonst so verschmähten »Stock-Firmware« betrieben; nur für’s Meshing wird auf Freifunk-Firmware zurückgegriffen.

Vielen Dank nochmals an die Kollegen aus dem Nordwesten für die Ausrichtung des Freifunk-Festivals! Auch für den Freifunk im Kreis GT gab’s wertvolle Ideen ;)
[Dieser Beitrag hätte eigentlich Mitte Oktober 2017 schon veröffentlicht werden sollen, ist irgendwie liegen geblieben.]

Richtfunk (#17fff)